Geschäftsführung und Vertretung einer bulgarischen Aktiengesellschaft

Von Ralitsa Mahony

Ist die Beauftragung sämtlicher Mitglieder des Direktorenrates mit der Einzelvertretung der AG möglich?

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Das bulgarische Handelsgesetz (HG) sieht zwei Geschäftsführungssysteme der Aktiengesellschaft (AG) vor - einstufiges System, bei welchem die Leitung der Aktiengesellschaft nur durch einen Direktorenrat erfolgt, und zweistufiges System, bestehend aus einem Vorstand und einem Aufsichtsrat. Bei dem zweistufigen System wird die AG durch den Vorstand mit Besatzung von 3 bis 9 Mitgliedern, welche die Gesellschaft grundsätzlich gemeinsam vertreten (art. 235 Abs. 1 HG), geleitet und vertreten. Bei dem einstufigen System wird die AG logischerweise von dem einzigen Geschäftsführungsorgan - dem Direktorenrat (DR), der ebenfalls von 3 bis 9 Mitgliedern bestehen kann, geleitet und vertreten. Für den Direktorenrat gilt ebenfalls die Regel des Art. 235 Abs. 1 HG, wonach die Vertretung der AG grundsätzlich gemeinsam von allen DR-Mitgliedern ausgeübt wird. Bei beiden Geschäftsführungssystemen ist es möglich, dass die Satzung “etwas anderes” hinsichtlich der Vertretung vorsieht. Gegenstand der nachfolgenden Darstellung sind gerade die Grenzen dieses “Anderen” im Licht der einstufigen AG-Vertretung und angesichts der Regelung des Art. 244 Abs. 4 S. 2 HG. Letztere sieht nämlich vor, dass die Leitung der AG durch einen oder mehrere DR-Mitglieder ausgeübt wird, welche Exekutivmitglieder genannt werden und welche weniger als die übrigen Ratsmitglieder sein sollen. Bei dem zweistufigen System fehlt eine solche Einschränkung hinsichtlich der Vorstandsmitglieder. Soll aber die Begrenzung der Zahl der DR-Exekutivmitglieder auch als Einschränkung der Möglichkeiten zur Regelung von “etwas Anderem “in der Satzung hinsichtlich der Vertretung der AG ausgelegt werden?

Niedrigere-Exekutivmitgliederzahl-Regel

Wie oben bereits erwähnt folgt aus der Vorschrift des Art. 244 Abs. 4 HG, dass DR-Mitglieder auch Exekutivmitglieder (Exekutivdirektoren) sein können. Bedeutet das allerdings, dass vom Grundsatz her nicht jedes DR-Mitglied zur Einzelvertretung der Gesellschaft befugt werden kann? Falls dies so wäre, so sollte die Ausnahme nach Art. 125 Abs. 1 HG, wonach die Satzung der AG eine andere als Gesamtvertretung durch alle DR-Mitglieder regeln kann, dahingehend ausgelegt werden, dass, falls die Gesellschaft nicht durch alle DR-Mitglieder gemeinsam vertreten wird, die Einzelvertretung nur einer niedrigeren Zahl als die Gesamtzahl der DR-Mitglieder übertragen werden kann. Einerseits, der Gesetzgeber könnte mittelbar eine solche Einschränkung eingeführt haben. Andererseits entsteht die Frage, warum, falls die Gesellschaft nicht von allen DR-Mitgliedern gemeinsam vertreten wird, nur einige der Mitglieder, nicht aber alle, die Vertretung selbständig ausüben können. Damit diese Frage beantwortet wird, soll die einzige Regelung, die dem einstufigen Geschäftsführungssystem der bulgarischen AG gewidmet ist - Art. 244 HG, - eingehend gerprüft werden.

Unterschied zwischen Leitung und Vertretung

Gemäß Art. 244 Abs. 1 HG wird die AG vom Direktorenrat geleitet und vertreten. Hier werden ausdrücklich zwei verschiedene Begriffe verwendet - “Leitung” und “Vertretung”. Gleichzeitig wird im Art. 244 Abs. 4 HG nur “Leitung” erwähnt: “Der Direktorenrat überträgt die Leitung der Gesellschaft einem oder mehreren Exekutivmitgliedern, welche unter seinen Mitgliedern gewählt werden, übertragen und bestimmt ihre Vergütung. Die Exekutivmitglieder sind weniger als die übrigen Ratsmitglieder”. Somit kann an dieser Stelle bereits festgestellt werden, dass zumindest hinsichtlich der Leitung der bulgarischen AG bei dem einstufigen System nicht alle DR-Mitglieder Exekutivdirektoren sein können. Wurde aber im Art. 244 Abs. 4 HG die Zahl der DR-Mitglieder, welche mit der (Einzel-)Vertretung der AG beauftragt werden können, nur zufällig nicht geregelt?

Damit diese Frage beantwortet wird, sollen Sinn und Zweck der Begriffe Leitung und Vertretung und entsprechend - der Anwendungsbereich der Vorschriften des Art. 235 Abs. 1 und des Art. 244 Abs. 4 HG - erforscht werden. Erstens, beide Begriffe beschreiben unterschiedliche Befugnisse der Mitglieder der Geschäftsführungsorgane der bulgarischen AG. Die Vertretungsvorschriften betreffen Art und Weise der Willensäußerung der juristischen Person. Im Unterschied dazu ist die Übertragung der Leitung auf die Führung, die Organisation, die Bestimmung der Politiken und der Richtlinien für die Ausübung der Gesellschaftstätigkeit gerichtet. Im Hinblick auf die Unterschiede im Inhalt beider Befugnisse kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Vertretung und die Leitung der AG beim einstufigen System nicht zufällig in zwei verschiedenen Vorschriften geregelt sind - entsprechend Art. 235 und Art. 244 Abs. 4 HG. Anders gesagt heißt das, dass während Art. 235 HG einzig und allein die Vertretungsbefugnis der Führungsorgane der AG regelt, Art. 244 Abs. 4 HG nur ihre Leitung zum Gegenstand hat.

In Unterstützung der dargestellten Auslegung über die Unterschiede zwischen Vertretung und Leitung ist auch die Vorschrift des Art. 237 Abs. 1 HG hinzuzuziehen. Danach behalten die Ratsmitglieder unabhängig von der Verteilung ihrer Funktionen (darunter Vertretungs- und Leitungsbefugnisse) gleiche Rechte und Pflichten. Das bedeutet, dass die Vertretungsberechtigung der DR-Mitglieder, welche ihnen kraft Art. 235 Abs. 1 HG erteilt worden ist, nicht nur aufgrund des Umstandes der Übertragung der Leitungsbefugnis auf einzelne davon entzogen werden kann.

Darüber hinaus hat der Unterschied zwischen Leitungs- und Vertretungsfunktionen auch in der Verordnung Nr. 1 vom 14.02.2007 über die Führung, Aufbewahrung und Zutritt zum Handelsregister und dem Register der juristischen Personen mit nichtwirtschaftlichem Zweck Ausdruck gefunden. Im Feld 10 (genannt“Vertreter”) des darin vorgesehenen Musterantrags zur Eintragung von Umständen über AG im Handelsregister (Antrag A5) sollen die mit der Vertretung und nicht mit der Leitung beauftragten DR-Mitglieder angegeben werden (anderenfalls sollte das Feld die Überschrift “Exekutivmitglieder” tragen). Grund dafür ist, dass nach Art. 235 Abs. 3 HG die Namen der mit der Vertretung befugten Personen im Handelsregister einzutragen ist. Im Unterschied dazu fehlt im Art. 244 Abs. 4 HG ein Erfordernis zur Handelsregistereintragung der Namen der Exekutivmitglieder.

Folglich wäre (analoge) Anwendung von Art. 244 Abs. 4 HG auf die Vertretungsregelung (und umgekehrt - von Art. 235 Abs. 1 HG auf die Vorschriften betreffend Leitungsfunktionen und -befugnisse bei dem einstufigen Geschäftsführungssystem der AG) unzulässig. Das heißt seinerseits, dass die niedrigere-Exekutivmitgliederzahl-Regel keine (gesetzlich vorgeschriebene) Begrenzung der zulässigen Zahl der mit der Vertretung befugten DR-Mitglieder bedeutet.

Zulässige Zahl der vertretungsberechtigten DR-Mitglieder

Tatsächlich ist sowohl im Art. 244 Abs. 4 S. 1 HG bezüglich der Leitungsübertragung als auch im Art. 235 Abs. 2 HG bezüglich der Übertragung der Vertretung der bulgarischen AG die Möglichkeit zur Beauftragung “einiger” Personen damit vorgesehen. Im Art. 235 HG (im Unterschied zu Art. 244 Abs. 4 HG) allerdings fehlt ein Verbot zur Erteilung der Vertretungsbefugnis an allen DR-Mitgliedern. Somit enthält Art. 235 Abs. 1 HG eine abdingbare Regelung, welche nur bei Fehlen sonstiger Vertretungsregelung in der Satzung der bulgarischen AG anzuwenden ist. Und eine solche sonstige Vertretungsregelung kann schrankenlos lauten, dass die Gesellschaft einzeln von jedem DR-Mitglied vertreten wird.

Von alledem kann geschlossen werden, dass die Vertretung der AG allen DR-Mitgliedern zur alleinigen Ausübung übertragen werden kann und zwar unabhängig von deren Gesamtzahl. Ob das praktikabel ist und wie die übertragene Vertretungsbefugnis auszuüben ist hat der Gesetzheber dem Ermessen der AG-Organe überlassen.

Anlass für diese Publikation ist ein Fall aus meiner Praxis in Verbindung mit der Eintragung der mit der Einzelvertretung einer bulgarischen Aktiengesellschaft beauftragten Direktorenratsmitglieder. Mahony’s Law Studio bietet Rundum-Unterstützung bei Gründung von Handelsgesellschaften in Bulgarien an.

Diese Publikation können Sie hier in bulgarischer Sprache finden.